“Weniger Drama als in 2016”, war Monika’s und mein Neujahrsvorsatz fuer 2017. Na, 10 Tage ins neue Jahr lag ich zuhause am Boden mit schlimmsten Rueckenschmerzen und brauchte 20 Minuten um mich Millimeter fuer Millimeter zurueck zum 2 Meter entfernten Mobiltelefon zu robben. Die Ambulanz des besten Privatspitals in Freetown kam innerhalb von 20 Minuten mit der erloesenden Morphiumspritze, mein Freund Elias und der Schlosser waren auch innerhalb von 15 Minuten da um die Tuer zu oeffnen – die 10 Meter zur Tuere haette ich beim besten Willen nicht geschafft. Ich verbrachte die naechsten drei Wochen liegend und mit gluecklichmachenden Mengen von Opiumhaltigen Schmerzmitteln, bevor in die Schweiz geflogen wurde um meinen Bandscheibenvorfall konservativ zu behandeln. Viele Physiotherapien spaeter und einige glueckliche Wochen zurueck in Sierra Leone kamen die naechsten Schmerzen, diesmal war etwas mit der Niere nicht in Ordnung, ich solle das in der Schweiz mal abklaeren bei einem Spezialisten, wurde mir greaten. Long story short, ich hatte mittlerweile drei vollnarkotisierte Eingriffe im Spital und schreibe auch dieses Email aus dem Spital. Wegen medizinischen Risiken darf ich momentan nicht in Sierra Leone sein, das Risiko fuer lebensgefaehrliche Komplikationen ist zu gross.
Ihr seht, ich hatte gute Gruende, mich so lange nicht mehr zu melden, da ich mit meiner Gesundheit und den ungewollten Unterbruechen meines Lebens in Sierra Leone beschaeftigt war. Bin ich zwar immer noch, aber ich habe gedacht, das waere doch ein gute Zeitpunkt, mal ein paar Spitalgeschichten zu erzaehlen, davon habe ich mittlerweile genug!
Krankenhaus Fakten
Dank meines Arbeitsgebers habe ich eine sehr grosszuegige Krankenversicherung, die mir Zugang zum besten Privatspital in Freetown ermoeglicht. Das kann man aber doch nicht ganz mit unseren Spitaelern vergleichen, der einzige Arzt (ein Nierenspezialist, der meine akute Nierenentzuendung nicht diagnostizieren konnte) ist ein sehr netter und umgaenglicher Typ, schlaegt aber fuer jedes Leiden sofort eine medizinische Evakuierung vor – er kennt seine und Sierra Leone’s Grenzen. Ich war mittlerweile genug oft im Spital (und habe in allen vier Patientenzimmern schon mal geschlafen), dass ich das Personal gut kenne und sie mich auch. So war ich im Maerz wieder einmal da und verbrachte die Wartezeit damit, allen in ihren Bueros und Zimmern Hallo zu sagen. Wieder im Wartezimmer kommt ein Patient auf mich zu und sagt “Sie, ich haette noch ein paar Fragen zu den Unterlagen, die ich fuer meine Behandlung benoetige – Sie arbeiten doch hier, oder?”. Ich habe eindeutig zu viel Zeit im Spital verbracht dieses Jahr!

Waehrend meinem Bandscheibenvorfall im Spital in Freetown wurde ich regelmaessig mit leckerem Libanesischem Essen und viel Morphium gefuettert.
Ich habe ausgerechnet: in 2017 habe ich gleich viele Abende im Spital verbracht, wie in Restaurants, und insgesamt 42 Spritzen/Infusionen erhalten. Diese werden besonders in Afrika gerne verteilt, die Regel ist: egal welche Krankheit, damit du wirklich gesund wirst, brauchst du Infusionen und Spritzen, am besten in mehrere Koerperteile. Die Krankenschwestern waren immer sehr freundlich, bis auf eine, die auch nach 20 Minuten herumstechen meine Vene immer noch nicht gefunden hatte. Als ich ihr sagte, das sei jetzt doch etwas unangenehm, meinte sie “so wehleidig kannst du nie ein Kind kriegen, du bist viel zu schwach fuer eine Geburt”. Einen Spruch, den man als kinderlose Frau in Sierra Leone oefters hoeren muss.

Ich bin zwar kinderlos, aber hatte dafuer eine Ziege! Er hiess Nyandeyama und ist leider an meinem Geburtstag gestorben.
Alternative Behandlungen
Alternative Medizin gibt es auch in Sierra Leone, einfach vielleicht noch etwas alternativer als unsere alternative Medizin. So hat mir eine Krankenschwester bei meinem dritten Aufenthalt innerhalb kurzer Zeit beim Spritzen verabreichen geraten, es waere jetzt wirklich an der Zeit, mal ein Huhn zu opfern, das ist ja kein Zustand, dass ich immer so krank sei. Sie koenne mir sonst jemanden empfehlen, mit hoher Erfolgsrate. Oder sie koenne auch ihren Pastor mal herbitten, der betet auch fuer Kranke. Schoen, Alternativen zu haben!

Fuer medizinische Behandlungen brauche ich Huehner eher weniger, dafuer mehr fuer Junggesellenabschiede/Polterabende, hier Jayne & Hahn im Korb ‘Nathan’.
Mein Spital, meine Informationsquelle
Ich versuche, alle meine Besuche im Spital auch zur Erweiterung meiner Gesundheitsfachkenntnisse zu nutzen, als sogennante “Fieldtrips”, die mir dann bei der Arbeit im Gesundheitsministerium helfen. So erkundige ich mich gerne nach den Kosten fuer Geraete, Eingriffe und Medikamente, und bin echt immer wieder erstaunt, wie gut und wie teuer das Gesundheitssystem in der Schweiz ist. Fuer einen Nierenfunktionstest wird eine Maschine benutzt, die eine Million Schweizerfranken kostet – damit koennen in Sierra Leone 5700 Krankenschwestern fuer ein Jahr bezahlt werden (also 5400 mehr als sie jetzt angestellt haben).
Mit den Krankenschwestern in der Schweiz spreche ich auch gerne ueber meine Arbeit – die sind dann immer gleichzeitig fasziniert und auch froh, in der Schweiz zu sein. Mit einem Monatslohn von CHF 175 ist es auch in Sierra Leone nicht einfach, eine Familie durchzufuettern.
Seit knapp vier Jahren arbeite ich im Gesundheitsministerium in Sierra Leone daran, die Regierung bei der Gesundheitssystemstaerkung zu unterstuetzen. Ich kenne die Nummern, die Fakten, die Theorien, und doch ist es fuer mich immer wieder traurig und schockierend, zu sehen wie inexistent die Gesundheitsversorgung ist. Waere ich Sierra Leonerin, wuerde ich mit dem gleichen Nierenproblem sehr wahrscheinlich vor 35 an Nierenversagen sterben – einfach weil es nicht richtig diagnostiziert und behandelt werden koennte in Sierra Leone.

Frauenmarsch in Freetown: zahlbare Krankenversorgung fuer alle!